Das Seetzen Haus

Aspekte der Stadtmädchenschule Jever in den 1950er Jahren           

Anlässlich des Tags der offenen Tür zur Einweihung des Oberstufengebäudes des Mariengymnasiums als Ulrich-Jasper-Seetzen-Haus am 28. Oktober 2013 gab es Gelegenheit, mit vier Zeitzeuginnen der 50er Jahre zu sprechen. Die hierbei gesammelten Informationen sind hier nach bestem Wissen wiedergegeben.  

Willkommen wären ergänzende Informationen, sehr gerne auch in Form von Fotos. Interessant wären auch widersprechende Informationen, um die Darstellungen der zufällig angetroffenen Zeitzeugen zu relativieren.
Emails bitte an: n.neubauer@mariengymnasium-jever.de

Aus den Berichten der Zeitzeugen ergibt sich folgendes Bild:

In der Zeit zwischen 1951 und 1960 war die Stadtmädchenschule eine achtjährige Schule für einen vollständigen Grund- und Hauptschulbildungsgang. Die Schule wurde in den Stufen 1 bis 4 ein- bis zweizügig, in den Stufen 5 bis 8 einzügig geführt. Somit waren bis zu ca. 10 Klassen im Gebäude untergebracht.

Die Klassen bestanden hauptsächlich aus Mädchen. Jungen wurden aber mit Zustimmung der Eltern der betroffenen Mädchenklasse aufgenommen und konnten auch am Handarbeitsunterricht teilnehmen. Nach Klasse 4 gingen so viele Schülerinnen und Schüler auf eine andere Schule über, z.B. auf das Mariengymnasium, dass es dadurch zu Zusammenlegungen von Klassen und zur Einzügigkeit kam. Eine Zeitzeugin berichtet von 50 Schülerinnen und Schülern in einer Klasse.

Eine ehemalige Schülerin berichtet, dass sie nach zwei Jahren Stadtmädchenschule direkt in Klasse 4 des Mariengymnasiums versetzt wurde. Das war wohl mit einem Schock verbunden, denn sie sollte sofort einen Aufsatz über ihre Heimat schreiben, der prompt nur aus zwei Sätzen bestand. Sie kam schließlich von einer der ostfriesischen Insel und was hätte sie da schreiben sollen? Eine Lehrerin schockierte sie zudem durch die Bemerkung, dass am Gymnasium niemand an den Weihnachtsmann glaube.

Die Klassenräume waren mit hölzernen Bankreihen ausgestattet, wo das Pult der nächsten Reihe als Rückenlehne der Reihe davor diente. Vier Schüler saßen in einer Bank nebeneinander. Eine ehemalige Schülerin berichtet von neuen Bankreihen mit zwei Schülerplätzen nebeneinander für die höheren Klassen. Diese Neuanschaffungen waren leicht am hellen, frischen Holz zu erkennen. Die alten Bänke waren stark gedunkelt. Die Schreibflächen wurden von Zeit zu Zeit von den Schülern mit Kerzenresten abgerieben und poliert, um sie zum Glänzen zu bringen.

Jeder Klassenraum verfügte über einen Ofen. Eine Ehemalige konnte in „ihrem“ alten Klassenraum die Stelle, wo der Ofen gestanden hatte, sofort angeben. Die Öfen waren bei Schulbeginn in Betrieb, und es lagen Holzscheite zu Nachfeuern bereit. Das Brennmaterial musste nicht von Schülern mitgebracht werden. Die Klassen hatten ihre fest zugeordneten Räume über mehrere Jahre. An Fachräumen gab es nur den Handarbeitsraum (jetzt innerhalb von D101). Die Schüler kannten nur ihren eigenen Klassenraum, den Handarbeitsraum und die Treppe, die zu ihrem Klassenraum führte.
Die Klassenräume nahmen nicht den vollständigen Grundriss jeweils einer ehemaligen Kaserne ein. Da ein Klassenraum zwei – auf doppelte Breite gebrachte - Fenster hatte, wird ein Klassenraum ca. 2/3 bis 3/4 der Grundfläche einer Kaserne gehabt haben, also ca. 40 bis 45 m². Der verbleibende Teil wurde als Vorflur genutzt und nahm die Kehren der Treppenläufe auf. Die Wand zum Vorflur wurde als hellhörig bezeichnet, denn man konnte Nachbarklassen hören.

Das Gebäude hatte insgesamt drei Eingänge und drei Treppenhäuser. Zwei Eingänge waren auf der Westseite des Gebäudes, und einer zwischen dritter und vierter südlicher ehemaliger Kaserne auf der Ostseite zu finden. Die Treppenhäuser verliefen in den überbauten Zwischenteilen der ehemaligen vier Kasernen nach oben. Die Treppenbreite entsprach dem Abstand der Kasernen. Die Treppen selbst waren vollständig aus Holz, sehr steil und glatt, stark ausgetreten und sie knarrten. Alle Treppen hatten Kehren in Form von Podesten. Die Fußböden in den Klassenräumen bestanden aus Holzdielen.

Im Parterre am Südende hatte der Hausmeister mit seiner Frau seine Wohnung (jetzt D001/D002 Sekretariat und Koordinatorenzimmer). Der Schulleiter hatte seinen Raum im Parterre am Nordende des Hauses und im selben ehemaligen Kasernenteil gab es das Lehrerzimmer.

Zum Gebäude gehörten zwei Schulhöfe. Der größere Hof war nach Westen gelegen und diente als Pausenhof und als Schulsportbereich. Der kleinere Hof war nach Osten gelegen und bestand aus einem schmalen Streifen, auf dem sich die Toiletten für Schülerinnen und Schüler befanden. Der Zustand der Anlagen muss desolat gewesen sein. Eine Zeitzeugin berichtet, dass sie bis heute nachts manchmal noch von den Zuständen dort schlecht träumt.

Über die Lehrerinnen wurde nicht viel berichtet. Von einer Lehrerin wurde berichtet, dass sie ihre Klasse für ihren eigenen schlechten Gesundheitszustand verantwortlich machte. Als diese Lehrerin während eines Kuraufenthalts durch einen Lehrer ersetzt wurde, bekam dieselbe Klasse zu verstehen, dass man noch nie so angenehmen Unterricht gehalten habe …

Schlussfolgerungen des Autors:

Die Nutzung des Gebäudes als Stadtmädchenschule hatte durch Trennwände und Treppenläufen mit Kehren zu veränderten Grundrissen in den alten Kasernenteilen geführt. An der Westseite wurden die Fensteröffnungen in der Größe im ersten und zweiten Geschoss in der zweiten, dritten und vierten Kaserne im Laufe der Nutzungszeit verdoppelt. Einzelne Fenster auf der Westseite wurden verschlossen. An der Ostseite wurden die Fensteröffnungen auf qaudratische Maße verkleinert.

Die Nachnutzer der Stadtmädchenschule nach 1961 , die Olympia AG Wilhelmshaven, entfernten die Treppe in der Mitte des Gebäudes vollständig zu Gunsten eines Platzgewinns, denn das Mariengymnasium fand wiederum als Nachnutzer ab 1978 nur zwei Treppenhäuser vor. In der Zeit der Nutzung durch das MG fanden sich nur zwei Gebäudeeingänge mit zugeordneten Treppen vor. Der dritte Eingang in der Mitte des Hauses an der Westseite hatte keine zugeordnete Treppe mehr und führte nur in zwei angrenzende Räume in zweiter und dritter Kaserne.

Die Holztreppen wurden nach 1961 entfernt und durch Betontreppen vermutlich mit gleicher Breite und Verlauf wie vorher ersetzt. Die Holzfußböden wurden ebenfalls entfernt und durch Betonfußböden mit Gussasphalt als Estrich und Beton-Unterzügen ersetzt. Vermutlich war der Holzfußboden bis dahin in der traditionellen Bauart mit tragenden Holzbalken und aufgenagelten Dielen gearbeitet.

Die Fensteröffnungen auf der Westseite wurden im Wesentlichen übernommen und mit neuen Fensterelementen bestückt. Die quadratischen Fenster an der Ostseite wurden bis auf wenige geschlossen. Die Einzelbeheizung der Räume wurde aufgegeben und durch eine zentrale Ölheizung ersetzt.
Der östliche Grundstücksteil wurde nach 1961 überbaut und als Werkstatt, als Lager und für Toiletten genutzt. Im Kellergeschoss wurde eine Ausbildungswerkstatt eingerichtet und ein Betonfußboden eingezogen. Die lichte Höhe im Keller hat sich dadurch verringert. Vermutlich wurde  damit versucht, aufsteigendes Grundwasser zurück zu drängen und dem Fundament zusätzliche Stabilität zu geben.

Das Walmdach der Stadtmädchenschule wurde durch ein flaches Satteldach ersetzt, das bei einem Sturm Anfang der 60er Jahre abhob und auf den östlichen Hof stürzte. Nachfolgend wurde ein Eternit-Sattelach mit flacher Neigung aufgebracht. Das neue Dach wurde mit starken Stahlbändern an den Wänden des oberen Geschosses verankert. Diese Bänder waren bis in die Zeit vor der Renovierung 2011 bis 2013 besonders im Obergeschoss des nördlichsten Gebäudeteils sichtbar.

Der Bau der Betontreppen, der Betondecken, der Zentralheizung und des Satteldachs waren starke Eingriffe in die Gebäudesubstanz, die in ihren Wirkungen gravierender zu bewerten sind als die Eingriffe der geänderten Grundrisse durch leichte Trennwände in der Zeit der Mädchenschule.

Die starken Einwirkungen der neu gebauten Betontreppen und der entfernten mittleren Treppe waren beim Umbau 2012/13 besonders auffällig. Der Rückbau erforderte an diesen Stellen besonders hohen Aufwand. In der Zeit der Nutzung durch das Mariengymnasium ab 1978 wurden bis zur großen Renovierung 2011 bis 2013  keine wesentlichen Veränderungen in den Raumaufteilungen vorgenommen.

Norbert Neubauer 

 

 

 

Das Oberstufengebäude des Mariengymnasiums Jever | Telefon 04461 93130